Haben Sie sich schon einmal beim Fernsehen ertappt, wie Sie beim Anblick eines Tennisspielers leicht mit der Schulter zucken? Oder wie Sie unbewusst den Arm heben, wenn in einem Werbespot etwas in die Luft geworfen wird? Dann haben Sie möglicherweise den Carpenter-Effekt erlebt – ein faszinierendes psychologisches Phänomen, das auch in der Werbung gezielt eingesetzt wird. In diesem Beitrag werfe ich einen Blick auf den Carpenter-Effekt und zeige, wie Marken dieses Prinzip nutzen können, um eine tiefere Wirkung zu erzielen.
Was ist der Carpenter-Effekt?
Der nach dem britischen Neurologen William Benjamin Carpenter benannte Effekt beschreibt die Tendenz unseres motorischen Systems, Bewegungen auszuführen, die wir bei anderen beobachten. Unser Gehirn ahmt beobachtete Handlungen unbewusst nach, zumindest in Form von mikro-motorischen Aktivitäten oder Handlungsimpulsen.
Dieser Effekt lässt sich neurowissenschaftlich unter anderem durch die sogenannten Spiegelneuronen erklären. Diese Nervenzellen werden nicht nur aktiv, wenn wir selbst handeln, sondern auch, wenn wir jemanden dabei beobachten.
Der Carpenter-Effekt in der Werbung
In der Werbepsychologie eröffnet der Carpenter-Effekt spannende Möglichkeiten, Kaufimpulse zu verstärken und die Interaktion mit Produkten emotionaler zu gestalten. Hier einige zentrale Anwendungen:
1. Aktive Produktpräsentation
Wenn Menschen im Spot aktiv mit einem Produkt interagieren (z. B. ein Getränk öffnen, auf einem Smartphone wischen oder sich Parfüm auftragen), überträgt sich diese Handlungstendenz auf die Zuschauer:innen. Das Gehirn «fühlt mit» und es entsteht das Bedürfnis, es selbst zu tun.
👉 Werbepsychologischer Vorteil: Die Schwelle zur tatsächlichen Interaktion mit dem Produkt sinkt. Besonders bei Produkten mit haptischem Erlebniswert (z. B. Kosmetik, Werkzeuge, Lebensmittel) kann dies zu einer unbewussten «Probierbereitschaft» führen.
2. Verstärkung durch Körpersprache und Mimik
Auch Gesten und mimische Reaktionen wirken «ansteckend». Eine Person, die sich genüsslich in ein Stück Schokolade beißt, erzeugt beim Zuschauer oft eine mitfühlende Reaktion – durch den Carpenter-Effekt und Empathie.
👉 Werbepsychologischer Vorteil: Genuss-, Lust- oder Entspannungsmomente werden nicht nur gezeigt, sondern auch gefühlt, wodurch die emotionale Markenbindung gestärkt wird.
3. Call-to-Action durch Bewegung
Bewegungen in Richtung Kamera, wie beispielsweise ein ausgestreckter Arm, der etwas «reicht», erzeugen ein Gefühl der Einbeziehung. Der Zuschauer wird unbewusst zur Teilnahme eingeladen, sei es zum Zugreifen, Ausprobieren oder Mitmachen.
👉 Werbepsychologischer Vorteil: Das sogenannte Embodiment-Prinzip verstärkt den «Call to Action». Aktionen werden körperlich «nachvollzogen» und gewinnen dadurch an Überzeugungskraft.
4. Gamification und interaktive Werbung
Besonders im digitalen Kontext (z. B. durch Touchscreen-Werbung oder VR-Erlebnisse) können gezielte Bewegungsreize starke Bindungseffekte erzielen. Die Kombination von beobachteter Bewegung und eigener Aktion aktiviert den Carpenter-Effekt doppelt.
👉 Werbepsychologischer Vorteil: Die emotionale und motorische Involvierung führt zu einer höheren Erinnerungsleistung und einer positiveren Markenwahrnehmung.
Grenzen und ethische Aspekte
Der Carpenter-Effekt kann subtil, aber wirksam eingesetzt werden. Dabei gilt wie immer in der Werbepsychologie: Authentizität und Kontext sind entscheidend. Manipulative Übertreibung oder stereotype Darstellungen können den Effekt ins Gegenteil verkehren.
Fazit: Bewegende Werbung wirkt – im Wortsinn.
Der Carpenter-Effekt zeigt, dass wir als Zuschauer:innen mehr sind als passive Beobachter:innen. Gute Werbung spricht nicht nur unsere Augen und Ohren an, sondern aktiviert über Bewegungsbeobachtung auch unser motorisches System. Wer diesen Effekt gezielt nutzt, kann Werbebotschaften emotional aufladen, Interaktionen fördern und Kaufimpulse verstärken.
Tipp für Werbetreibende:
Achten Sie in der nächsten Kampagne gezielt darauf, Handlungen zu zeigen, die Ihre Zielgruppe unbewusst mitvollziehen möchte, sei es das Öffnen eines Produkts, ein Mitmach-Gestenaufruf oder ein einfacher, nachvollziehbarer Bewegungsablauf. Ihr Spot bewegt dann nicht nur emotional, sondern auch physisch.